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Geschichte der linguistischen Theorien, Teil 2

Erster Teil: Frühe Transformationsgrammatik <    > Dritter Teil: Neuerungen bis zur GB-Theorie

Die Standardtheorie

Diese Transformationen wurden als Regeln verstanden, die in einer festgelegten Reihenfolgebeziehung zueinander stehen. So kennen wir in der Syntax etwa Bewegungsoperationen, deren Anwendung nacheinander zu erfolgen hat. Bei der Passivierung etwa liegen mehrere Transformationen vor, die aufeinander folgen müssen: Erst wird das Subjekt des zugrunde liegenden Aktivsatzes in einer Präpositionalphrase adjungiert, dann wird das Verb passiviert, wobei in Sprachen ohne synthetisches Passiv der lexikalische Kopf nur noch in einer Partizipform vorliegt, welche dem direkten Objekt keinen Akkusativ mehr zuweisen kann. Wegen des Kasusfilters wird deshalb das direkte Objekt in die freie Subjektposition bewegt, wo es mit dem Nominativ versehen werden kann. Auch hier wird wieder die Vorstellung eines zeitlichen Vor- und Nacheinanders nahegelegt.

Wenn eine Regel bei Anwendung einen solchen Output produziert, der als Input – also Auslöser der Anwendung – einer anderen Regel dient, nennt man das Verhältnis der ersten Regel zur zweiten ein Fütterungsverhältnis (feeding). Verringert die Anwendung von Regel 1 die Möglichkeiten, dass Regel 2 angewendet wird, so nennt sich dieses Verhältnis das des Ausblutens (bleeding). Dies ist in etwa die Haltung von Chomsky und Halle in Sound Pattern of English (1968). Demonstriert werden soll dies an einem Beispiel aus der deutschen Phonetik.

Im Deutschen stehen eine Assimilationsregel

     "[n] vor [g] oder [k] wird zu [ŋ] assimiliert."

und eine phonetische Tilgungsregel

     "Hinter [ŋ] wird [g] getilgt."

im Verdacht, zueinander in einem feeding-Verhältnis zu stehen: nämlich die Assimilation eines nasalen Dentallautes [n] an einen unmittelbar folgenden plosiven Velar [g] oder [k]. Ergebnis dieser Assimilation ist der velare Nasal [ŋ], der im Deutschen keinen Phonemstatus besitzt. Unmittelbar auf diesen nasalen Velar folgend wird im Deutschen – im Gegensatz etwa zum Jiddischen – ein stimmhafter velarer Plosiv [g] getilgt. Das bedeutet: Steht im Deutschen [n] vor [g], ist das Ergebnis nur [ŋ] (z.B. in "singe"). Nicht getilgt hingegen wird ein stimmloser velarer Plosiv [k] hinter [ŋ] (z.B. in "sinke"). Da wir aber phonetische Regeln kennen, die im Deutschen mit Notwendigkeit aus einem stimmhaften Plosiv einen stimmlosen machen, wie etwa die Auslautverhärtung

     "Am Ende einer Silbe stehen keine stimmhaften Laute, sondern die stimmlosen Varianten."

könnten die Regeln in Konflikt kommen.

Regel 1 steht in einem feeding-Verhältnis zu Regel 2, da erstere mit ihrem Output erst den Input für und damit die Anwendung von Regel 2 erwirkt. Nun scheint aber die Regel 3 den Input für Regel 2 zu verringern, also zu ihr in einem bleeding-Verhältnis zu stehen: Steht ein [ŋ] vor einem [g] im Auslaut (am Wort- oder Silbenende), müsste laut Regel 3 aus dem [g] ein [k] werden, welches nicht getilgt wird. Nun ist für das Standard-Deutsche aber festgelegt, dass die graphische Kombination –ng im Auslaut immer wie [ŋ] klingt, was darauf hinweist, dass die Regel 3 erst nach der Regel 2 angewendet werden darf.

Aus solchen Verhältnissen zwischen Regeln wurde allgemein die Vorstellung gewonnen, dass alle Regeln in einer strikten Anordnung zueinander stehen. Dabei wurde vernachlässigt, dass die Regeln 1 und 2 nicht angeordnet sein müssen, um zusammen wirken zu können: Allein logisch kommt für den Input von Regel 2 nur der Output von Regel 1 in Frage, ohne dass sie zeitlich angeordnet vorgestellt werden müssen. Im Gegensatz dazu sind Regel 3 und die anderen beiden nicht zueinander angeordnet: Man merkt, dass die deutschen Muttersprachler sowohl Regel 2 als auch Regel 3 so unabhängig voneinander gespeichert haben und anwenden, dass Aussprachen herauskommen, die der Vorschrift fürs Standarddeutsche widersprechen: Für die graphische Endung –ung hört man genauso die Lautung [-uŋ] wie [-uŋk], also anscheinend Entstimmung vor Tilgung. Derselbe Fall liegt etwa da vor, wo Muttersprachler sich nicht an die Regel halten, graphisches –ig – z.B. in "ständig" – als [-iç] auszusprechen. Auch da ziehen sie die Auslautverhärtung vor und artikulieren [-ik].

Mit solchen Beispielen ist gezeigt worden, dass die Regelanordnung höchst fragwürdig ist und in der Nachfolge ab der theoretischen Begründung der Gegenposition durch Koutsoudas (1974) nicht mehr motiviert scheint.

Bereits seit Chomskys Aspects (1965) war der Weg beschritten worden, die transformationelle Komponente der generativen Grammatik zu beschneiden. In der fortan Standardtheorie genannten Vorgehensweise sind z.B. rekursive Phrasenstrukturregeln zugelassen. Dies bedeutet, dass beispielsweise das Startsymbol S, das bislang nur mit einem Kernsatz identifiziert wurde, auch auf der rechten Seite von Ersetzungsregeln auftauchen durfte, so dass ein eingebetteter Satz, der von einem verbalen Kopf selegiert wird, schon in der Basisgenerierung auf der Tiefenstruktur in seiner späteren Position steht. Also fällt damit eine Reihe von Operationen, die zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur angewendet werden, weg. In dieser Version der Transformationsgrammatik bietet die Tiefenstruktur in chomskyanischer Sicht die Schnittstelle mit dem konzeptuellen System. Alle semantisch zu überprüfenden Faktoren sind dort zusammen in eindeutiger Weise gruppiert. So liegt für diese Betrachtung bei den folgenden drei Oberflächenstrukturen:
  1. The enemy destroyed the city.

  2. The enemy’s destruction of the city

  3. The city was destroyed by the enemy.

dieselbe Tiefenstruktur vor. Bis auf Tempus- und Kongruenzmerkmale gleicht sie der Struktur (1). Alle drei sind demnach aus demselben Grundmuster abgeleitet, sie bedeuten damit auch unbeschadet der Tempusaspekte dasselbe: Der Zusammenhang zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur wird verstanden als Zusammenhang zwischen meaning und sentence.

Weiter: Neuerungen bis zur GB-Theorie



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zuletzt aktualisiert am 22.08.2005